Wie Kulturwandel wirklich funktioniert ?!
„Kultur ist der einzige Erfolgsfaktor, den man nicht kopieren kann“ sagte Frauke von Polier zu ihrer Zeit als Leiterin HR bei zalando. In Bezug auf das Nicht-Kopieren-Können gibt es abweichende Meinungen, während sich die meisten Expter/innen in Bezug auf den Beitrag von Kultur als Garant für den langfristigen Erfolg von Organisationen einig sind.
Kulturwandel gehören allerdings zu den komplexesten Herausforderungen, mit denen sich Führungskräfte heute auseinandersetzen. Was Unternehmenskultur ist, welche Bedeutung sie für den Unternehmenserfolg hat, und wie man sie verändern kann, ist ein wichtiges und viel diskutiertes Thema. In der Kategorie Kulturwandel stellen wir verschiedene Beiträge und meine eigenen Überlegungen zur Verfügung. Dieser Beitrag dient dem Einstieg und Überblick.
Was ist Unternehmenskultur?
Auf diese Frage gibt es viele Antworten. Zum Einstieg zwei Definitionen aus der Literatur:
„Ein Muster grundlegender Annahmen – erfunden, entdeckt oder entwickelt von einer vorgegebenen Gruppe, während diese lernt, mit den Problemen der externen Adaption und internen Integration umzugehen – die gut genug funktionierten, um von dieser Gruppe als gültig angesehen zu werden, und die deshalb neuen Mitgliedern vermittelt werden als richtige Methode der Wahrnehmung, des Denkens und des Fühlens bezüglich dieser Probleme.“ – Edgar Schein (2018) Organisationskultur und Leadership
"Kultur formt unser Verhalten. Unternehmerischer Erfolg ist immer auch auf eine kooperative Unternehmenskultur zurückzuführen, die von Ehrlichkeit und Verlässlichkeit geprägt ist". – Ernst Fehr (2019) Vortrag auf der Academy of Behavioral Economics
Mein persönliches Verständnis lautet wie folgt:
„Die Art und Weise wie in einer Organisation tatsächlich gedacht, gefühlt und zusammengearbeitet wird."
Kultur umfasst für mich sowohl das Mindset als auch Verhaltensmuster. Dieses Verständnis liegt diesem Beitrag zugrunde.
Noch konkreter beschrieben ist eine Differenzierung zwischen verschiedenen Kulturebenen im Modell von Edgar Schein, mit dem ich bereits in meiner Diplomarbeit 1999 zur Post Merger Integration von Daimler und Chrysler gearbeitet habe:
- Auf der ersten Ebene sind Verhaltensweisen und andere physische Manifestationen oder Artefakte. Sie sind an der Oberfläche sichtbar: z.B. Kommunikationsverhalten mit Mitarbeiter/innen, Kund/innen und Lieferant/innen, Logo, Parkplätze, Bürogestaltung, verwendete Technologie, das schriftliche Unternehmensleitbild und Rituale des Miteinanders.
- Auf der zweiten Ebene sind Gefühle und Einstellungen, die das Verhalten von Mitarbeiter/innen bestimmen. Kollektive Werte sind beispielsweise Ehrlichkeit und Freundlichkeit, Technik-Verliebtheit, oder spielerisch versus konservativ.
- Auf der dritten Ebene werden Grundannahmen thematisiert: d.h. Dinge, die als selbstverständlich angenommen werden. Diese "basic assuptions" werden nicht hinterfragt oder diskutiert, sondern sie sind so tief verwurzelt, dass sie von Mitgliedern der Organisation nicht bewusst wahrgenommen werden.

Welche Wirkung hat die Unternehmenskultur auf den Unternehmenserfolg?
Die beste Strategie nützt nichts, wenn eine unzureichende Zusammenarbeit die Umsetzung erschwert. Peter Druckers berühmtes Zitat bringt es auf den Punkt:
„Culture eats Strategy for breakfast.“
Jon Katzenbach golt mit einem ähnlichen Spruch:
"A strategy that is at odds with a company’s culture is doomed. Culture trumps strategy every time."
Eine gesunde Kultur stärkt die „Psychological Safety“ und fördert damit Kreativität, Innovation und Mitarbeiterengagement. Längerfristig entwickeln sich im Durchschnitt die Aktienkurse von Unternehmen, die von ihren Mitarbeitern als „Great Place to Work“ gewählt wurden, um ein Dreifaches besser als der Kurs durchschnittlicher Unternehmen.
“Culture doesn’t just help attract amazing people, it amplifies their abilities and helps them do their best work.”
Wie kann man Unternehmenskultur verändern?
Das Ziel ist meist klar: „Culture change that sticks“. Die neue Kultur wird von möglichst vielen Menschen in möglichst vielen Situationen möglichst umfassend im Verhalten ausgedrückt – eine nachhaltige Kulturveränderung. Es gibt mindestens zwei verschiedene Ansätze für Kulturwandel.

Ansatz 1 umfasst die Veränderung der Unternehmenskultur durch Veränderung der Werte und Einstellungen der Mitarbeiter/innen. Voraussetzung dafür ist Klarheit über das Ziel der Reise. Kulturbotschafter (auch Multiplikatoren, Change Agents oder Sherpas genannt) unterstützen den langfristig angelegten Prozess. Intensive Auseinandersetzung mit den neuen Werten und regelmäßiges Feedback führen nach und nach zu einer Veränderung der Einstellungen der einzelnen Mitarbeiter und darauf folgend zu einer nachhaltigen Veränderung der Kultur der gesamten Organisation. So behaupten die Unterstützer dieses Ansatzes.
Bei Ansatz 2 erfolgt Kulturwandel durch eine Veränderung des Verhaltens, die durch eine freiwillige Anpassung an ein verändertes Umfeld entsteht. Dieser Ansatz ist ganz klar mein Favorit. Plakativ begründet: die Kultur isst zwar die Strategie zum Frühstück, aber die Struktur isst Strategie und Kultur zum Lunch. Etwas weniger plakativ: Erkenntnisse aus Verhaltensökonomie, Komplexitätstheorie, Lean Startup, Scrum, Design Thinking etc. zeigen auf, wie durch die Veränderung des Umfelds das Verhalten der Menschen verändert werden kann. Daraus entsteht mit der Zeit quasi „automatisch“ und „unvermeidbar“ eine neue Kultur.
Um sicherzugehen, dass ich nicht auf die erstbeste Managementmode reinfalle, habe ich mich mit den „Erfindern“ bzw. langjährigen Expert/innen der oben genannten Ansätze ausgetauscht. Im März 2017 haben wir uns zu viert mit Dave Snowden zu seiner Perspektive auf Navigating Complex Change inkl. Ansätzen zur Veränderung von Kultur auseinandergesetzt. Zuvor hatten wir mit einer Kollegin bereits Fehr Advice in Zürich besucht und uns zu Verhaltensökonomie ausgetauscht. Zu Design Thinking habe ich mich regelmäßig mit Felix Hoch ausgetauscht, der lange an der Design School des HPI in Berlin gearbeitet hat, und wir haben schon 2015 gemeinsam ein Change Design Thinking Training angeboten. Zudem haben wir uns bei unserem Trip ins Silicon Valley die Sicht von IDEO auf Design Thinking erklären lassen.
Im Sinne des agilen Grundgedankens lässt sich aus Scrum oder Design Thinking keine Präferenz für eine Option ableiten. Die Aktivitäten zur Realisierung der Anforderungen (beim Kulturwandel also Soll-Kultur, Verhaltensanker, Anwendungsfälle etc.) werden im Verlauf des Prozesses vom Team selbst unter Einbindung der Stakeholder definiert. Auch Komplexitätstheorie und Verhaltensökonomie bieten keine Best Practices, wir sind aber von der Wirksamkeit einzelner Elemente überzeugt.
Die Beeinflussung des Verhaltens von Menschen durch Nudges beispielsweise ist in zahlreichen empirischen Studien bestätigt. Daher hier nur ein Beispiel: Stell dir vor, du möchtest Menschen dazu bringen, häufiger die Treppe zu benutzen. Wie schaffst du das? Das Verändern der Einstellung zu gesunder Ernährung und Bewegung könnte viele Monate oder sogar Jahre dauern. Schneller geht es, wenn Du den Weg zur Treppe als Laufbahn oder die Treppe selbst als Klavier gestaltest. In kürzester Zeit werden die Menschen ihr Verhalten verändern. Nach einer gewissen Zeit wird sich das Verhalten verfestigen.
Von einem ähnlichen Ansatz ist auch Dave Snowden überzeugt. Er geht davon aus, dass jeder Mensch aus seinen Lebenserfahrungen individuell geprägt ist, sowie menschliche soziale Systeme so komplex sind, dass sie nicht vorhersagbar sind und damit nicht der eine erfolgversprechende Weg definiert werden kann. Daher ist er Verfechter von multiplen parallelen Experimenten statt großer sequentiellen Interventionen. Zudem führt das Aufschreiben von Werten zu einem unerwünschten Bias, der statt Ehrlichkeit und authentischem Verhalten zum Anlegen einer Maske beim Betreten des Büros führt. Es führt zu Lippenbekenntnissen und oberflächlichem Befolgen des Kulturwandelbefehls.
Auch bei Culture Hacking, einer Idee aus dem Lean Change, soll durch kleine „Hacks“ (Experimente) neues Verhalten erzeugt werden. Jeder Mitarbeiter darf Experimente durchführen, wenn er glaubt, dass sie zum gewünschten neuen Verhalten beitragen. Das Risiko bei diesem Vorgehen ist, dass sich alle Durchführenden über die Gefahren ihres Culture Hacks bewusst sein müssen. Denn es kann auch in die Hose gehen, wenn man alle Mitarbeiter an die DNA der Organisation (d.h. die Kultur) lässt. Andererseits: die Firma besteht ja nur aus den Mitarbeitern und deren Miteinander – wer sonst soll also die Kultur ändern dürfen?!
Natürlich sollte keiner der beiden o.g. Ansätze als der einzig wahre Weg verstanden werden, sondern als Denkanstoß für ein Gesamtvorgehen, das sich aus beiden Ansätzen speist.
Für Euren eigenen Kulturprozess hier noch ein paar grundlegende Überlegungen etwas plakativer formuliert:
- Die obersten Führungskräfte müssen es wirklich ernst meinen mit der Transformation. Nachhaltige Veränderung fängt bei ihnen an.
- Werte und gewünschtes Verhalten kann jede Organisation definieren. Werden dabei jedoch die Bedürfnisse der Mitarbeiter/innen außen vorgelassen, bleiben meist nur bunte Poster an der Wand Transformation übrig.
- Kultur ändert sich nur durch ständigen Dialog. Dafür muss ein geeigneter Rahmen geschaffen und die Teilnahme am Austausch ermöglicht werden. Die Zeit dafür sollte unbedingt eingeplant werden. (Achtung: Ansatz 1 Alarm :-)
- Der Implementierungsplan muss klar priorisierte Maßnahmen und Ziele beinhalten. Dafür braucht es natürlich Budget und Ressourcen. Wenige ernstgemeinte Maßnahmen sind ein guter Start. Diese zeigen den Mitarbeitern, dass das Management zuhört und selber anpackt. Das wiederum erhöht die Motivation am zukünftigen Mitwirken. Eine positive Aufwärtsspirale entsteht.
- Der Spirit der neuen Kultur fließt mit der Zeit in verbesserte Prozesse und Strukturen der Organisation ein. So werden aus Soft Facts greifbare Resultate. (eher Ansatz 1 Denken)
- Bereits in der frühen Phase werden einige Veränderungen an Strukturen, Prozessen, Rollen und Regeln vorgenommen, um ein Signal zu setzen und Barrieren für ein konstruktiveres Miteinander aus dem Weg zu räumen. (eher Ansatz 2 Denken)
- Der Fortschritt wird regelmäßig gemessen. Dadurch wird Kulturwandel besser begreifbar.
Und wie geht's weiter?
Empfehlen können wir folgende Bücher:
- Edgar Schein - Organisationskultur und Leadership (u.a. mit Ausführungen zur Struktur und Entschlüsselung von Kultur, natürliche und geleitete kulturelle Entwicklung und - mein Favorit - den Change Leader als Lernender.
- Peter Scott-Morgan - The Unwritten Rules of the Game
- Svea von Hehn, Nils I. Cornelissen, Claudia Braun - Kulturwandel in Organisationen: Ein Baukasten für angewandte Psychologie im Change-Management
Wir freuen uns darauf, Ansätze und Interventionen für wirksamen Kulturwandel beim nächsten Change Camp (www.changecamp.rocks) am 11./12. Mai 2023 zu diskutieren. Denn mit den heutigen Kulturen werden viele Organisationen in der zukünftigen Welt nicht überleben, und wenn doch, dann leiden die Mitarbeiter/innen unnötig darunter.