
Interkulturelle Studien im Vergleich
Länder unterscheiden sich nach ihrer Sprache, Esskultur, Architektur, Musik, Kleidung, Literatur, der Gestik, dem Bezug zu Körperkontakt etc. Diese kulturellen Aspekte können in vielen Situationen zu Missverständnissen führen: lustige, wie weniger lustige. Die Inderin schüttelt auf die Frage, ob der Projektleiter mit ihrer Unterstützung rechnen kann, den Kopf: d.h. sie meint ja. Der Amerikaner ist sichtbar irritiert, als sein Gegenüber auf die Frage „How are you?“ wirklich ausführt, wie es ihm geht. Und im Nachbarraum bahnt sich ein Konflikt an, weil die Deutsche „irritiert“ mit „irritated“ übersetzt hat und ihr nicht bewusst war, dass dies im englischen Sprachgebrauch eher ein negativ interpretiertes „gereizt“ wegen Angriff und weniger ein neutrales „verwirrt“ wegen Unklarheit bedeutet.
In der Kategorie Interkultureller Change (als Link zur Übersicht der Kategorie) stellen wir Informationen über kulturelle Unterschiede bereiten und teilen Sichten, wie man im Kontext von Change damit umgehen könnte. Dies ist keinesfalls eine Anleitung für den Umgang mit Menschen, sondern ein Aufruf, seinem Gegenüber mit Aufmerksamkeit zu begegnen und für kulturelle Unterschiede zu sensibilisieren. Denn wir müssen die kulturellen Unterschiede berücksichtigen, wenn wir Transformationsprozesse im internationalen Kontext wirksam realisieren wollen.
Studien über interkulturelle Unterschiede gibt es viele. Die bekanntesten und meist verwendeten Studien sind die der Forscher Gert Hofstede und Alfons Trompenaars sowie die GLOBE Studie. Die Erkenntnisse aus den drei Studien werden im Folgenden kurz vorgestellt und miteinander verglichen.
1. Hofstede
Professor Geert Hofstede veröffentlichte seine Studie, wie kulturelle Werte den Arbeitsplatz beeinflussen, im Jahr 1980 und aktualisierte immer wieder seine Erkenntnisse zusammen mit seinem Sohn Gert Jan und Michael Minkov bis zum Jahr 2010. Er erforschte über einige Jahre 40 Länder und ihre verschiedenen Kulturen und brach sie in Kulturdimensionen herunter. Er definierte vorerst vier Dimensionen, wobei zwei weitere in den Jahren darauffolgten. Die sechs Kulturdimensionen stellen unabhängig voneinander dar, welche Präferenzen Länder (nicht Individuen), in Bezug auf einen bestimmten Zustand, vorweisen. Diese lauten wie folgt:
Machtdistanz: Diese Dimension gibt an, wie ein Land mit Autorität, Ungleichheit und Hierarchie aus Sicht der Anhänger umgeht. Wenn die Machtdistanz hoch ist, respektiert diese Kultur diejenigen mit Machtpositionen oder höheren Rängen in hohem Maße. Ist die Machtdistanz hingegen geringer, wird mehr Wert auf eine gleichmäßige Verteilung der Macht gelegt als auf die Bewunderung von Führungskräften.
Individualismus: Diese Dimension gibt an, wie sehr ein Land voneinander abhängig ist oder ob es eher als Individuum funktioniert. Ist der Grad des Individualismus hoch, wird mehr Wert auf Individualität und die Erreichung persönlicher Ziele gelegt. Ist der Grad des Individualismus niedrig, dann liegt der Schwerpunkt eher auf der Arbeit als Kollektiv, auf den Zielen als Ganzes und auf der Zusammenarbeit als Einheit.
Männlichkeit: Diese Dimension gibt an, welche Eigenschaften ein Land in seiner Gesellschaft hat und ob diese eher männlich oder weiblich sind. Wenn eine Kultur ein höheres Maß an Maskulinität aufweist, ist die Kultur durchsetzungsfähiger und stärker auf Erfolg und Wohlstand ausgerichtet. Ist das Maskulinitätsniveau niedrig, gilt sie als femininer und ist eher fürsorglich und auf die Lebensqualität des Einzelnen bedacht.
Unsicherheitsvermeidung: Diese Dimension gibt an, wie stark ein Land auf Unsicherheit und Risikobereitschaft reagiert. Ein hohes Maß an Unsicherheitsvermeidung bedeutet, dass die Kultur eine geringe Toleranz gegenüber dem Unbekannten hat und daher versucht, das Risiko durch Regeln, Vorschriften, Gesetze oder Politiken zu verringern. Wenn die Unsicherheitsvermeidung gering ist, ist die Toleranz gegenüber dem Unbekannten höher und die Gesellschaft ist daher entspannter in Bezug auf Regeln, Vorschriften, Gesetze und Richtlinien.
Langfristige Orientierung: Diese Dimension zeigt an, inwieweit das Land seinen Zielen Priorität einräumt. Wenn es sich um eine hochgradig langfristig orientierte Kultur handelt, dann wird die Zukunft priorisiert und die Aufrechterhaltung von Wachstum auf lange Sicht sowie die Aufrechterhaltung von Traditionen und jede vorgeschlagene Änderung der gesellschaftlichen Norm wird skeptisch betrachtet. Bei einem niedrigen Wert liegt die Priorität eher auf kurzfristigen Zielen und ständigen Veränderungen für kurzfristiges Wachstum, und viele Traditionen werden geändert, um sich an die ständig neu geschaffenen kurzfristigen Ziele anzupassen.
Nachsicht: Diese Dimension gibt an, wie ein Land die Befriedigung und Erfüllung von Wünschen sieht. Ist der Grad der Nachsicht hoch, dann legt diese Kultur Wert darauf, das Leben zu genießen und den Impulsen und der Befriedigung nachzugeben, um dies zu fördern. Ist der Grad der Nachsicht gering, dann unterdrückt diese Kultur diese Impulsivität, indem sie die Wünsche reguliert und sich mehr auf die Bedürfnisse konzentriert.
2. Trompenaars
Einige Jahre später widmete sich Alfons Trompenaars – ein Schüler Hofstedes – einer ähnlichen Thematik. Im Jahr 1993 erforschte er mit Charles Hampton-Turner den Bereich der interkulturellen Kommunikation. Zwar entwickelte Trompenaars ein eigenes Modell, jedoch basierten die Grundlagen auf den Forschungen von Hofstede. Die sieben Kulturdimensionen werden wie folgt definiert:
Partikularismus vs. Universalismus: Ob eine Kultur auf Vertrauen und Beziehungen oder auf Vorschriften und Normen basiert.
Kollektivismus vs. Individualismus: Ob eine Kultur mehr auf das Individuum oder die gesamte Gesellschaft als Ganzes ausgerichtet ist.
Affektiv vs. Neutral: Ob eine Kultur ihre Gefühle offen zum Ausdruck bringt oder eher zurückhaltend ist.
Zuschreibung vs. Leistung: Ob eine Kultur eine Person aufgrund ihres Geschlechts, ihres Alters oder ihres Status in der Gesellschaft belohnt oder aufgrund ihrer Leistung und Verdienste.
Diffus vs. Spezifisch: Ob in einer Kultur alles miteinander verknüpft und verbunden ist (Arbeit, öffentliches und privates Leben) oder ob alles getrennt und abgeschottet ist.
Synchron vs. Sequentiell: Ob eine Kultur typischerweise multitaskingfähig ist und viele Dinge auf einmal tut oder ob sie Dinge einzeln erledigt.
Innere Kontrolle vs. äußere Kontrolle: Ob eine Kultur ihre Umgebung kontrolliert, von der sie umgeben ist, oder ob die Umgebung die Kultur kontrolliert.
3. Die GLOBE Studie
„GLOBE“ ergibt sich aus “Global Leadership and Organizational Behaviour Effectiveness Research Program” (Strobel, 2015). Seit 1991 wird die Fragestellung erforscht, inwieweit sich die Erwartungen an effektive Führungskräfte zwischen verschiedenen Kulturen unterscheiden. Im zweiten Schritt wird danach gefragt, wie sich die betreffenden Unterschiede auf gesellschaftskulturelle Werten zurückführen lassen (Brodbeck, 2015) und ob es auch universelle Führungsmerkmale gibt, die weltweit in ähnlicher Weise eine Voraussetzung für effektive Führung bilden.
Für diese Studie haben sich mehr als 170 Wissenschaftler aus der ganzen Welt in Teams zusammengetan. In einem Fragebogen mit fast 300 Einzelaussagen wurden von über 17.000 Mitarbeitern des mittleren Managements aus 951 Organisationen und 62 verschiedenen Ländern Bewertungen zur "Gesellschaftskultur des jeweiligen Landes, zur Kultur ihrer Organisation und zu ihren Vorstellungen über besonders effektive Führung" gemacht (Strobel, 2015). Der Fokus richtete sich bei der Studie auf drei Branchen: Finanzdienstleistungen, Lebensmittelverarbeitung und Telekommunikation (Sochor, 2020).
Als Ergebnis werden folgende Dimensionen definiert:
Durchsetzungsvermögen: Das Ausmaß, in dem Personen in ihren Beziehungen zu anderen durchsetzungsfähig, konfrontativ und aggressiv sind (und sein sollten).
Zukunftsorientiertheit: Das Ausmaß, in dem Personen zukunftsorientierte Verhaltensweisen wie Planung, Investitionen in die Zukunft und Aufschieben von Belohnungen zeigen (und zeigen sollten).
Menschliche Orientierung: Das Ausmaß, in dem ein Kollektiv Einzelpersonen ermutigt und belohnt (und ermutigen und belohnen sollte), sich anderen gegenüber fair, altruistisch, großzügig, fürsorglich und freundlich zu verhalten.
Institutioneller Kollektivismus: Das Ausmaß, in dem organisatorische und gesellschaftliche institutionelle Praktiken die kollektive Verteilung von Ressourcen und kollektives Handeln fördern und belohnen (bzw. fördern und belohnen sollten).
Gruppeninterner Kollektivismus: Das Ausmaß, in dem Einzelpersonen Stolz, Loyalität und Zusammenhalt in ihren Organisationen oder Familien zum Ausdruck bringen (und zum Ausdruck bringen sollten).
Geschlechteregalitarismus: Das Ausmaß, in dem ein Kollektiv die Ungleichheit der Geschlechter minimiert (und minimieren sollte).
Machtdistanz: Das Ausmaß, in dem die Gemeinschaft Autorität, Machtunterschiede und Statusprivilegien akzeptiert und befürwortet.
Unsicherheitsvermeidung: Das Ausmaß, in dem sich eine Gesellschaft, Organisation oder Gruppe auf soziale Normen, Regeln und Verfahren verlässt (und verlassen sollte), um die Unvorhersehbarkeit künftiger Ereignisse zu verringern. Je größer der Wunsch ist, Ungewissheit zu vermeiden, desto mehr streben die Menschen nach Ordnung, Konsistenz, Struktur, formalen Verfahren und Gesetzen, um Situationen in ihrem täglichen Leben abzudecken.
4. Vergleich der Modelle
Die GLOBE Studie unterscheidet sich zu Trompenaars‘ und Hofstedes insoweit, dass sie sich mehr auf die Führungsebene in verschiedenen Kulturen konzentriert. Ein Ergebnis, welches aus der GLOBE Studie hervorgeht, ist, dass die Führungsdimensionen die Vorhersagekraft für die Führungseffektivität im mittleren Management und Topmanagement bestätigt werden konnten. Zudem wird die Theorie der kulturgeprägten impliziten Führungskultur wird in dieser Studie bestätigt (Brodbeck, 2015). Die Dimensionen in der GLOBE Studie werden teilweise von vorangegangenen Studien übernommen, jedoch wird die Essenz anders betrachtet.
Hofstede’s Fokus war auf sozial geprägte Unterschiede in der Kultur, und wie diese sich auf den Arbeitsplatz auswirken. Zudem sind seine Forschungen bis heute eine Basis für viele Herangehensweisen in Studien sowie auch an Arbeitsplätzen, jedoch sind einige Ansätze in der heutigen Zeit veraltet. Aus diesem Grund sind die Kulturdimensionen eine gute Orientierung, jedoch sollte man sich nicht mehr vollständig darauf festlegen. Vor allem die Gegenüberstellung von Männlichem und Weiblichem Verhalten ist in der heutigen Zeit ein Vergleich, welcher zu erheblichen Diskussionen führen kann.
Trompenaars legte den Fokus seiner Studie auf Kommunikation. Auch er nutzte Hofstedes Studie als Grundlage für seine Forschung. Er ergänzte diese, sodass sie im Management und in der Beratung für internationale Unternehmen genutzt werden können. Die ersten fünf Dimensionen thematisieren die Beziehungen zu den Mitmenschen, die sechste bezieht sich auf die Einstellung gegenüber der Zeit und die letzte auf die Einstellung zu Raum und Umwelt.
Die oben genannten Forschungsarbeiten wurden in den letzten dreißig Jahren noch wichtiger, da die fortschreitende Globalisierung die Notwendigkeit des Verständnisses verschiedener Kulturen erhöhte und einen Leitfaden erforderte, der sowohl in der theoretischen Forschung als auch in der Unternehmenspraxis auf dem Gebiet des internationalen Unternehmensmanagements verwendet werden konnte. Die Fähigkeit, ein sehr unterschiedliches kulturelles Umfeld zu verstehen, ist daher für internationale Unternehmen nicht nur für die Rekrutierung und Bindung von Mitarbeitern entscheidend geworden, sondern auch für die Maximierung der Leistung der Mitarbeiter und die Steigerung der Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen.
5. Fazit
Die oben genannten Forschungsarbeiten wurden in den letzten dreißig Jahren noch wichtiger, da die fortschreitende Globalisierung die Notwendigkeit des Verständnisses verschiedener Kulturen erhöhte und eine bessere Orientierung erforderte - sowohl in der theoretischen Forschung als auch in der Unternehmenspraxis. Die Fähigkeit, ein unterschiedliches kulturelles Umfeld zu verstehen und sich darin konstruktiv bewegen zu können, ist daher für internationale Unternehmen nicht nur für die Rekrutierung und Bindung von Mitarbeitern und zur Erhöhung der Identifikation mit dem Unternehmen entscheidend geworden. Das Wissen und die Erfahrung über kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede wird auch für die Gestaltung und Begleitung von Change Prozessen benötigt.
Uns bei emergize (Link zur Webseite) ist dieses Thema wichtig, weil wir im internationalen Kontext arbeiten. Ich selbst habe meine Bachelor-Arbeit zu interkulturellem Change am Beispiel der Automobilbranche in USA, Deutschland und Japan geschrieben und insgesamt 8 Jahre im Ausland gelebt. Unser Gründer Eike Wagner hat schon 1999 seine Diplomarbeit zu interkultureller Post Merger Integration am Beispiel von Daimler und Chrysler geschrieben. Er und sein Geschäftsführungskollege Philipp Forster lassen sich von Bekannten aus ihrem Netzwerk vorbereiten, bevor sie vor Ort in Japan, Brasilien oder Singapur mit den intern Verantwortlichen Change-Vorhaben initiieren und lokale Umsetzungspartner integrieren.
Und noch ein letzter Gedanke: nicht zu unterschätzen ist trotz der Bedeutung der Landeskultur deren Vermischung mit der Unternehmenskultur. Dies führt zu Dynamiken, die das gesamte Vorhaben noch einmal komplexer werden lassen.