New Change

Agilität sinnvoll im Change einsetzen

Agilität ist kein Allheilmittel und der Hype um das vermeintliche Buzzword wird irgendwann vorbei sein. Wenn man es richtig angeht, ist der Nutzen von agilen Ansätzen bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen jedoch unbestritten. 
 


Agilität ist kein Allheilmittel, aber eine kluge Anwendung von agilen Methoden, Prozessen und vor allem Prinzipien hilft, Veränderungen in einem komplexen Umfeld besser zu bewältigen. Dabei gilt es zunächst drei Realitäten zu akzeptieren: 
 
1. Zu jedem Zeitpunkt finden auf Ebene eines einzelnen Mitarbeiters eine Vielzahl von gleichzeitigen Veränderungen statt: Initiativen, die auf Organisationebene angestoßen werden, Veränderungen im Kundenumfeld, neue Arbeitsweisen oder Kollegen im Team und nicht zuletzt private Höhen und Tiefen. 
 
2. Welche Auswirkungen organisatorische Veränderungen auf einzelne Mitarbeitende und deren Interaktion und informelle Beziehungen hat, lässt sich weder voraussagen, noch managen oder kontrollieren: Vielmehr ist es wie bei einem Mobilé, das einen Schubs bekommt, aber unklar ist, wo das neue Gleichgewicht gefunden wird. 
 
3. Das Top Management oder das Headquarter kennen die Realität der von der Veränderung betroffenen Mitarbeiter nur unzureichend und sind deshalb auch nicht geeignet, die Veränderung im Alleingang auszugestalten. 

 

Definition von Agilität 

Wegen der vielen verschiedenen Definitionen und Interpretationen von Agilität macht es Sinn, sich bewusst zu machen, wo agiles Arbeiten herkommt und was das Mindset dahinter ist. Im agilen Manifest steht: 
 
- Menschen und deren Interaktion sind uns wichtiger als Prozesse und Tools 

- Funktionierende Software ist uns wichtiger als umfassende Dokumentation 

- Co-Kreation mit Kunden ist uns wichtiger als Vertragsverhandlung 

- Reaktion auf Veränderung ist uns wichtiger als Einhalten des Plans 
 
Es geht also nicht darum, entweder das eine oder das andere zu tun, sondern darum, sowohl das eine als auch das andere: allerdings mit einer klaren Tendenz zum jeweils erstgenannten Aspekt. Der Ursprung in der Softwareentwicklung ist offensichtlich. Eine Anpassung für die Anwendung auf die Veränderung von Organisationen ist daher notwendig. Von den vielen Definitionen von Agilität hat sich diese in der Praxis als hilfreich erweisen: „Agilität ist die Fähigkeit von Teams und Organisationen, in einem unsicheren, sich verändernden und dynamischen Umfeld flexibel, anpassungsfähig und schnell zu agieren.“ 

 

Definition von Erfolg im agilen Kontext 

Immer wieder wird die Statistik zitiert, nach der nur ein Drittel der Veränderungen erfolgreich sind. Das liegt unter anderem daran, dass gar nicht genau zu definieren ist, wann eine Veränderung eigentlich beendet ist und was ihren Erfolg ausmacht. 

Erfolg im agilen Kontext bedeutet einen nutzbaren Wert für die Zielgruppe geschaffen zu haben. 

Dabei wird mit sogenannten User Stories gearbeitet, die beschreiben, was der Nutzer mit der angebotenen Funktionalität eigentlich tun bzw. wofür er sie nutzen möchte. 
Wenn wir diese Logik auf die Begleitung von Veränderungen übertragen, ist eine Veränderung dann erfolgreich, wenn durch die Veränderung die Stakeholder ihre Aufgaben schneller und leichter erfüllen können, ihre Ziele besser erreichen und weniger Barrieren bei der Zielerfüllung im Weg stehen. 

 

Agile Ansätze im Change einsetzen 

Es gibt kein allgemeingültiges agiles Vorgehensmodell für Changeprozesse, aber eine Vielzahl von Möglichkeiten, die agilen Prinzipien, Ansätze und Methoden in der Veränderungsbegleitung zu nutzen. Im Folgenden beschreiben wir den Einsatz von vier agilen Ansätzen, die auf den zuvor genannten agilen Werten und Prinzipien beruhen und in der beschriebenen Realität hilfreich sind. 
 
Ansatz 1: Change Design Thinking nach dem „Love the Problem“-Prinzip 
 
Veränderungsinitiativen gleichen immer mehr Transformationen, bei denen nur schwer greifbar ist, was genau sich eigentlich verändern soll. Ein Beispiel hierfür ist die digitale Transformation, vor der kein Unternehmen die Augen verschließen kann. Doch anstatt mithilfe digitaler Möglichkeiten Probleme zu lösen oder Chancen zu ergreifen, wird die Digitalisierung zum Selbstzweck. Design Thinking hilft dabei, anders heranzugehen und tiefer einzutauchen. Nach dem Prinzip „Love the Problem“ werden in der sogenannten Empathie-Phase mithilfe von Befragungen und Beobachtungen konkrete Bedürfnisse des Unternehmens, der Mitarbeiter und Kunden identifiziert. Dies ermöglicht in der darauffolgenden Kreativ- und Prototypen-Phase neue (digitale) Ansätze zu finden, um diese Bedürfnisse besser zu erfüllen. 
 
Ansatz 2: Lean Change mit dem „Minimal Viable Change“-Ansatz 
 
Lean Start-Up steht für das Testen von Annahmen bei begrenztem Risiko (Aufwand, Geld und andere Risiken). Im Mittelpunkt steht dabei das Minimal Viable Product (MVP), das als Prototyp die Kundenbedürfnisse bzw. Lösungen erlebbar macht. 
 
Ein Beispiel: Kürzlich wurde im „Spiegel“ ein Artikel veröffentlicht, der sich mit den Gefahren des mobilen Bezahlens beschäftigte. Er beschränkte sich nicht darauf, über potenzielle Bedrohungen zu informieren, sondern schlug eine Reihe von Minimial Viable Changes (abgeleitet vom MVP) für den Verbraucher und die Politik vor. Die im Artikel beschriebenen minimalen Veränderungen setzen dabei auf unterschiedlichen Ebenen an, um hypothetische Befürchtungen im sicheren Umfeld zu erkunden: 
 
- Aus den Erfahrungen anderer Länder, die Vorreiter mobiler Zahlvorgänge sind, mit einem klar definierten Ziel zu lernen: „Wie kann man für eine bessere Datentrennung von Bezahldaten und Nutzerdaten sorgen?“ 

- Ein mobiles Konto erst als Zweitkonto eröffnen, um ein Gefühl für die tatsächlichen Chancen und Tücken zu bekommen. Denn häufig sind die im Vorfeld einer Veränderung geäußerten Befürchtungen nicht diejenigen, die nach Einführung der Veränderung wirklich kritisch sind. 

- Zunächst sollte man testen, ob man die Vorzüge mobilen Zahlens überhaupt nutzt bzw. gerne nutzen würde. 

- Das Smartphone sollte sicherheitstechnisch aufgerüstet werden. 

Übertragen auf Veränderungsvorhaben ist der Lean Change-Ansatz geeignet, Hoffnungen und Befürchtungen der Mitarbeiter in kleinen Häppchen bearbeitbar zu machen. 

Und das schon vor der Einführung der eigentlichen Veränderung. Die Mitarbeiter können sich mit den eigenen Annahmen auseinandersetzen und Erfahrungen für die finale Ausgestaltung der Veränderung sammeln. Da es noch nicht ums Ganze geht, werden die Erfahrungen angstfrei gesammelt und sorgen deshalb für mehr Lösungsorientierung. 
 
Ansatz 3: Schnelle Ergebnisse mit Scrum liefern 
 
Schwierig wird es bei Veränderungen immer dann, wenn mehr als eine Organisationseinheit betroffen ist. Es gilt, vorhandene, teils unterschiedliche Interessen in Einklang zu bringen und die Veränderung so zu gestalten, dass sie organisationsübergreifend sinnvoll ist. 
 
Bei klassischen Implementierungsprojekten wird wasserfallartig vorgegangen: d.h. es wird zuerst analysiert, dann geplant, dann die Aktivitäten im Plan umgesetzt und am Ende erst der Nutzen evaluiert. Bei Scrum wird im Gegensatz dazu iterativ vorgegangen: d.h. in kurzen Zeitabständen (sogenannten Sprints) werden nutzbare Ergebnisse (sogenannte Inkremente) durch cross-funktionale Teams geliefert. Eine mögliche Anwendung dieses Prinzips im Change ist die zeitlich befristete Zusammensetzung von funktions- und hierarchieübergreifenden Change Teams. Diese widmen sich dann der Umsetzung genau einer Fragestellung oder eines Aspekts der Veränderungsvision, die sinnvollerweise im vorgelagerten Design Thinking- und Lean Change-Prozess in Form von User Stories formuliert und getestet wurde. 
 
Die Einführung neuer Büro- und Arbeitswelten hat zum Beispiel oft eine Vielzahl von Zielsetzungen. Ein Scrum Team kann sich hier spezifisch mit dem Thema papierlosen Arbeitens beschäftigen, während ein anderes Scrum Team sich des Themas Homeoffice annimmt. Durch die Arbeit in Sprints wird sichergestellt, dass das Feedback der beteiligten Mitarbeiter kontinuierlich einfließt und Veränderungen in den Rahmenbedingungen zeitnah berücksichtigt werden können. 
 
Ansatz 4: Regelmäßige Reflexion für mehr Fokus und Transparenz 
 
Häufig verselbstständigen sich Veränderungsinitiativen, indem zum Teil überholte Zielsetzungen den Blick für den eigentlichen Mehrwert verdecken. Reporting-Pflichten erhöhen den Aufwand der begrenzten Ressourcen und liefern nur relativ wenig Nutzen für die Umsetzungsteams. 
 
Der Rhythmus der Reflexion im Scrum entsteht durch die periodisch wiederkehrenden Meetings: Daily Stand-Up, Sprint Planning, Sprint Review und Retrospektive. Ein daran angelehnter regelmäßiger Reflexions-Rhythmus kann im Veränderungsprozess das Reporting an die Gremien ersetzen. Die Stakeholder nehmen stattdessen in unterschiedlicher Zusammensetzung direkt an den jeweiligen Meetings teil. Im Review erhält sie einen guten Überblick über das Erreichte des vergangenen Sprints und im Sprint Planning gibt es eine Übersicht über die priorisierten Anforderungen für den kommenden Sprint. Durch den Fokus auf die Arbeitsfähigkeit des Teams sind diese Meetings allerdings sehr kurzgehalten. 
Um bei agilen Projekten in hierarchischen Organisationen dem Informationsbedürfnis der oberen Führungskräfte zumindest zu einem gewissen Grad entgegen zu kommen, haben wir auch schon informelle Updates am Ende jedes Sprints angeboten. Wichtig dabei ist, dass es außerhalb der Kernarbeitszeit des Teams stattfindet, um deren Arbeit nicht zu stören, und dass dies in den Räumlichkeiten des Teams stattfindet, um auch physisch Eindrücke der Arbeit zu vermitteln und um das Muster „Wir lassen die Projekte an uns berichten“ zu brechen. 

 

Wie kann HR beim Einsatz von Agile Change unterstützen? 

Agilität im Change ist kein neues Thema, aber das Potenzial ist in der Praxis bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Außerdem folgen zu viele Praktiker dem Hype ohne fundiertes Verständnis von agilem Arbeiten. Je nach Wissensstand und Erfahrungsschatz gibt es also viele Möglichkeiten, wie HR zur Agilisierung von Veränderungsvorhaben beitragen kann. Daher ermutigen wir jeden Personaler zum Experimentieren. Hier vier Ideen: 
 
- Selber machen, lernen und Erfahrungen teilen: Strategische Personalthemen lassen sich gut in Anlehnung an Scrum bearbeiten. Binden Sie die Stakeholder direkt in die Umsetzung ein und machen Sie sie damit vom kritischen Beobachter zum verantwortlichen Gestalter. 

- Definieren Sie Minimal Viable Changes: Und zwar kleine, überschaubare Dinge, die Mut bei der Umsetzung kosten, weniger wegen des Risikos für das Unternehmen, sondern weil Sie damit Ihre eigene Komfortzone verlassen. Denn ungewohnte Vorgehensweisen haben das Potenzial, festgefahrene Routinen abzuschaffen. 

- Trainings anbieten: Schaffen Sie ein Grundverständnis zu agilen Begriffswelten und stellen Sie sicher, dass die Kollegen Agilität nicht mit Disziplinlosigkeit oder „Jeder wie er mag“ verwechseln. 

- Geben Sie den Takt vor: Interne oder externe „Agile Coaches“ sind die Taktgeber und helfen, geeignete Strukturen für agiles Change Management zu schaffen. Sie sind der erste Schritt für die Entwicklung eines agilen Mindset und einer internen Community. 

 

*Die Artikel der Serie #NewChange sind zuerst in der Zeitschrift Personalwirtschaft erschienen // Personalwirtschaft │ Das Portal für den Job HR

 

 

to top